Wie ich in Aleppos Souk den Orient entdeckte
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Motorbreath

Wie ich in Aleppos Souk den Orient entdeckte

Wir bummeln durchs dämmernde Aleppo. Die Stadt muss erkundet werden, Spuren ehemaligen historischen Lebens aufgespürt werden. Essen wäre auch mal wieder angebracht, obwohl mir die Kamera-Geschichte immer noch durch die zitternden Knochen zuckt. An der ersten Ecke grüßt ein ältlicher Herr mit „Welcome!“, weit und breit kein Stand oder Geschäft zu erkennen, in das er uns mit dieser Grußformel locken will. Nein, der grüßt wirklich aus reiner Freundlichkeit. Mir geht es um einiges besser in der Magengegend nach dem Schawarma, das wir irgendwo zwischen 20 Schuhgeschäften einnehmen. Schuhgeschäfte, soweit das Auge reicht, scheint wichtig zu sein, in dieser Ansammlung von hupenden Karossen und gräulichen Häusern etwas an den Füßen zu haben.

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Wir betrachten die Leuchtreklame in arabischer Schrift wie schon in Damaskus, fühlen uns vom Hupkonzert der Abgasschleudern ähnlich genervt wie in Damaskus. Unser 2-Sterne-Domizil ist im Standard ähnlich kühl wie in Damaskus. Es ist bitterkalt in unserem vier Meter hohen Hotelzimmer, und dem lässt sich auch mit einer heißen Dusche nicht entgegenwirken, denn das Badfenster ist unverschließbar. Also bibbern wir uns mal wieder in den Schlaf. Syrien ist kalt.

Hotel Ambassador von Aleppo

Tag 2 in Aleppo

Türen knallen, Telefone klingeln, Musik jault, wir haben schon wieder das Zimmer neben der Arabic Soundmachine erwischt! Die gute Nachricht des Tages: Die Kamera ist da! Die schlechte: Es regnet. Mit der zurückeroberten Kamera im Anschlag, schlendern wir dennoch durch die Straßen von Aleppo, der großen alten Stadt, die Mittelpunkt und Hauptstadt so vieler Reiche und Völker war und gerade nur mit Ölpfützen und infernalischem Straßenverkehr aufwarten kann. Große Schlachten hat man um das heute arabisch benannte Halab gefochten, meist zu Fuß, auf Pferd und Streitwagen, mittlerweile erledigen das die dieselbetriebenen Blechkarren. Es geht immer noch ums Überleben, schon beim kürzesten Gang über die Straße muss man bangen, niemals da drüben anzukommen.

Es ist ungemütlich, regnet noch immer, die kunstvoll balkonierten Fassaden lassen sich so nicht entspannt bestaunen. Wir suchen ein Internetcafe, das schnellere Verbindungen hat als das von gestern, landen aber wieder genau dort. Drei Stunden lang kämpfe ich „slowly, slowly, slowly“ gegen die Ungeschwindigkeit, Mailsystem, Chatprogramme. Im Blog hat man fleißig die ersten Berichte kommentiert, was zumindest ein bisschen das Herz wärmt.

Nach drei Stunden ist der Tag schon wieder vorbei, auf dem Weg zum Hotel kommen wir an einem Museum vorbei, betreten es aber nicht. Der Antrieb fehlt bei dem Wetter, obwohl Regen doch ideal für Museumstage ist. Den Reisepartner macht es aggressiv und missmutig, scheint mir, auf mich wirkt es nur depressiv, tolle Reisepartnerschaft! Wir nehmen ein Schawarma mit aufs Zimmer und speisen mit CNN-Nachrichtenbeschallung, denn der Fernseher läuft im Gegensatz zur Heizung reibungslos. Kann nur hoffen, dass das Wetter morgen besser wird und die Gemüter ebenfalls aufhellen, ist ja schon der letzte Tag in Syrien.

Der letzte Tag in Syrien

Wieder knallen die Türen, Qualm zieht durchs Oberlicht und das Telefon in der Lobby klingelt durch alle Flure und Zimmer. Wir flüchten aus unserer 25-Dollar-Zelle und wollen in der Altstadt untertauchen. Schlammige Straßen, was anderes war nach dem Regen nicht zu erwarten. Wir schieben uns mit den Menschenmassen und hupenden Autos da durch. Beim Überqueren ist höchste Vorsicht geboten, alle rennen kreuz und quer und Autos halten ja bekanntlich nicht. Wir spazieren an einer Hauptstraße entlang, wo die Esel gleich neben den verbeulten Toyotas parken, die Einwohner mit Hühnern unter dem Arm in die Seitengassen laufen und Plastiktüten zu reinsten Stolperfallen verkommen.

Eingang zum Souk von Aleppo

Wo geht es hier zur Altstadt?

Geschäfte und Buden, in unendlicher Aneinanderreihung, aus ihnen dröhnt dieselbe Musik wie aus der Disko unserer Zimmernachbarschaft. Verkauft werden Autoteile, Fließen, Schischas und Schuhe. Wir folgen einem Schild, das die Altstadt ausweist, es geht einen Hügel hinauf, die Gebäude ringsum werden weniger, gleich sind wir aus der Stadt raus. Fast, wir landen am Friedhof. Hat sicher aus was Altes an sich, ist aber nicht die Altstadt. Die Grabsteine sind teilweise grün oder türkis angestrichen, mit Inschriften versehen und gucken brav gegen Mekka. Von Friedhöfen halte ich bei aller morbiden Faszination nicht sehr viel. Totenruhe hier. Die hupenden Rußschleudern sind nicht mehr so laut zu vernehmen.

Friedhof Aleppo

Wir haben uns definitiv verlaufen oder die beiden Tore, die wir sehen, verbergen was wir suchen: die Altstadt. Wir finden es nicht heraus und drehen wieder um. Mr. Navigator flucht erst mal auf den Stadtplan im Reiseführer, der nur an unserem kleinen Irrweg Schuld sein kann. Immerhin, wir haben etwas gesehen, das nicht in jedem Reiseführer angepriesen wird.

Gefunden: Der Souk von Aleppo

Zufall oder nicht, bei einem Seitenblick an der großen Hauptstraße der Keramik- und Schischa-Händler entdecke ich ein paar bunte Tücher und Stoffe, die mich neugierig genug machen, hinzulaufen. Es ist tatsächlich der Eingang zum Al-Madina-Suq und wir tauchen ins orientalische Getümmel ein. Ich staune mich durch farbige Stoffballen, Tücher und Schleier, die von den Decken der kleinen Buden baumeln. Der Suq ist ein Tunnel, eine dreckige Gasse ohne Pflaster, teilweise laufen wir auf Rohrleitungen. Rechts und links sitzen die Händler in ihren Miniverschlägen und preisen Ihre Waren an.

Wimpel im Souk von Aleppo

Mit Schubkarren voller Orangen, Kokosnüsse und Karotten laufen sie um die Wette. Ich fotografiere, einfach draufhalten, orientalischer wird es nicht. Ich störe mich an niemandem mehr, und mich stört auch niemand. Die Händler winken freundlich rüber, sagen „Welcome“ und sind nicht böse, wenn ich nicht an ihrem Stand halte oder dort nur knipse und nicht einkaufe (Krieg in die 15-Kilo-Kraxe nichts mehr rein.)

Souk von Aleppo

Fleisch, Obst, Gemüse und Brokat

An den Fleischereien dreh ich richtig auf, rohe Motive. Schafsköpfe liegen in Schüsseln auf den Tischen, Kaldaunen hängen an riesigen Haken von der Decke, gerupfte Hühner mit Kopf und Füßen aufgestapelt wie Mehlsäcke. Gekühlt wird hier kaum etwas, bei aller Freilandliebe, essen würde ich die Tiere nicht. Dann lieber die Datteln und Feigen, die am nächsten Stand bis unter die Decke quillen, ein Meer aus Gewürzen und Trockenfrüchten in allen Rot- und Brauntönen.

Fleischer im Souk von Aleppo

Die Stoffhändler wollen mich einkleiden, kann ich verstehen, die Jeans und das Fleece sind nicht der schickste Fummel, aber der zweckmäßigste für diese Reise. Ich kann abwehren, aber den berühmten Damaszener Brokat in den schillernden Farben muss ich noch aufs Foto nehmen. Ich strahle als ich aus dem Tunnel auf die Straße trete, die uns einen Berg hoch geführt hat.

Damaszener Brokat und andere Stoffe - im Souk von Aleppo

Zitadelle von Aleppo

Gegenüber sehen wir die Zitadelle, gegen den grauen Himmel bietet sie nicht den besten Anblick. Der Burggraben ist angefüllt mit Müll und Unrat, so schindet man aber auch keinen Eindruck. Wenn wir aber schon mal hier sind (und vor allem drei Stunden lang danach gesucht haben) können wir auch mal einen Blick riskieren. Der Eingang führt über eine große Mauer über den vermüllten Graben nach innen, wo gerade fleißig restauriert wird. Sie restaurieren es zu Tode! Die Mauern werden mit Beton aufgefüllt und begradigt, dass man von der ursprünglichen Bausubstanz gar nichts mehr erkennt.

Auf der Zitadelle von Aleppo

Wir Westler übertreiben vielleicht manchmal mit der Erhaltung und Verehrung alter Gemäuer. Hier leben sie damit. Trotzdem, ein Archäologe wäre Amok gelaufen, wir gehen einfach wieder. Ein letzter Blick über die graue Masse der Stadt, deren einzige Farbtupfer die gelben Taxis und ein paar grünlich leuchtende Minarette sind.
Zitadelle von Aleppo

Orientlaische Köstlichkeit: Humus

Als wir den Burgausgang hinter uns haben, schlage ich vor, auf der anderen Straßenseite das Café aufzusuchen. Wir setzen uns in den Vorbau (drinnen wird zuviel gequalmt) und ordern Humus mit und ohne Fleisch, Kaffee und Tee. Es schmeckt aber auch zu gut. Mein erstes Humus, und dafür dass das zerquetschte Kichererbsen sind, ist das Zeug wirklich lecker mit den Tomaten und Ölen und der frischen Minze. Auf dem Weg zum Hotel kaufe ich noch einen kleinen Süßigkeitenstand leer.

Wenn Aleppo schläft…

Wir haben den Pagen an der Rezeption angewiesen, uns um 6.30 Uhr einen Weckruf zu geben. Mr. Misstrauisch hat außerdem seinen iPod instruiert, nur zur Sicherheit. Der piept nur leider genau einmal, recht kurz. Um 6.30 Uhr klingelt kein Telefon, sondern der iPod. Einmal. Ich hätte verpennt. Wir packen und ziehen aus, an der Rezeption schläft selig unser „Wecker“ und schnarcht tief und fest. Wir schleichen vorbei (warum eigentlich?!) und treten auf… die leere Straße. Aleppo schläft also doch! Nur ein paar Taxis sind unterwegs und eins davon bringt uns erwartungsgemäß zum Flughafen.

Dort erwartet uns das übliche Chaos aus Einchecken, Kindergeschrei und Bakschisch zahlen, um den Staat verlassen zu dürfen. Und schließlich verlassen wir die syrische Zeitepoche, die mich stellenweise an Ausgrabungsbilder vom alten Orient anno 2000 v. Chr. erinnert hat. Die Wüste war schön, die Städte nervig, der Verkehr infernalisch. Bin immer noch glücklich, den Suq gefunden zu haben und die Umayyaden-Moschee gesehen zu haben. London muss schnell gehen, damit Indien schneller kommen kann. Freu mich auf die Wärme!

Salam
Claudi :)

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