Wie ich in der Emilia-Romagna altes Handwerk und eine Folterkammer ausprobierte
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Wie ich in der Emilia-Romagna altes Handwerk und eine Folterkammer ausprobierte

Ein weiterer heiterer Tag am rechten Stiefelrand hinter Rimini. Auf einer Pressereise bedeutet das: aufstehen, Kaffee trinken, hoffen nicht die Unpünktlichste zu sein und ab in den Bus. Der wird übrigens von einem italienischen Macho gesteuert, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters entsprechend störrisch reagiert, wenn er den Weg zum Hotel nicht weiß und sich auch nicht weisen lassen will. Man argwöhnte also dem schon zu und freute sich schelmisch über jedes Verfahren, das Nando dann auch an den Tag legte…

Riminis neue Gemeinden

Und trotzdem kamen wir an, in den neuen Gemeinden der Provinz Rimini. Die haben seit Jahrhunderten zu den Marken gehört und irgendwann abgestimmt, dass sie lieber zu Rimini gehören wollen. Weil sie näher an der Provinzhauptstadt liegen, dieselbe Telefonvorwahl haben und irgendwie auch, weil Rimini weniger Gemeinden besitzt als die Marken und entsprechend mehr Budget für die einzelnen Städte ausgeben kann.


Fotos: Emilia-Romagna

Pennabilli und die Madonnen

Eine dieser Gemeinden ist das nette Örtchen Pennabilli, bestehend aus den Stadtteilen Penna und Billi, mit jeweils einem Hausberg. Auf der Piazza dazwischen, mit Brunnen, Kirche und Gelatteria schlecken wir mal schnell ein Erzengel-Eis und wandern dann mit Führerin Helga ein Gässchen hinab zum Garten der vergessenen Früchte. Davon gibt es in der Emilia wohl mehrere. Dieser wurde vom Stadt-Künstler Tonino Guerra ausgestattet. Herr G. war ein enger Freund Fellinis, dichtet und töpfert heute noch, mit stolzen 90 Jahren. In seinem Garten wachsen alte Obstsorten, die kaum noch jemand kennt oder isst. Ein bisschen Kunst steht dazwischen, wie das Schneckenportal oder das Portal der verlassenen Madonnen (Ikonenbilder, die er überall zusammengesucht hat).

Emilia-Romagna Pennabilli

Tibetische Gebetsmühlen und katholische Kirchenglocken

Und dann steht da noch ein Maulbeerbaum, den der Dalai Lama 1994 dort pflanzte. Weshalb der Lama hier war? Lustige Geschichte! Im 18. Jahrhundert wurde dem Mönch Orazio Olivieri in Pennabilli die Welt zu klein und bekehrt, da wanderte er los – nach Tibet. Dort baute er ein Kloster, mühte sich 30 Jahre mit der Missionierung und konnte letztlich nicht mehr bleiben. Die Glocke, die im Kloster bei Lhasa bimmelte, baute man 2005 nach und ließ sie beim 2. Besuch seiner Heiligkeit einweihen. Sie hängt auf dem Hausberg von Penna, in Gesellschaft von 3 Gebetsmühlen und Wimpeln, mit freiem Blick auf den gegenüberliegenden Hausberg Billi, der seinerseits von einem riesigen Kreuz geschmückt wird. Dialog der Religionen, wenn man so möchte. Die Aussicht jedenfalls ist fantastisch. Auf dem Weg zum Penna-Berg läuft man übrigens die Straße der Sonnenuhren entlang, kommt am Garten der geistlichen Erbauung vorbei, den ebenfalls Herr Guerra anlegte und kann auch gern noch Toninos Museum besichtigen.

Emilia-Romagna Gebetsmühlen in Pennabilli

In der Folterkammer der Festung San Leo

Vom katholisch-buddhistischen Frieden geht es ein paar Serpentinen und Rubikon-Überquerungen weiter zur Festung San Leo. Dort empfängt uns Ugo, ein pensioniertes Sprachgenie, das auf Teufel komm raus beweisen will, wie gut oder weniger gut er die deutsche Sprache beherrscht. Er spricht entsprechend langsam und stockend immer mal wieder Wörter suchend. Schlecht für Journalisten, die eher Fakten brauchen und keine reduzierten Sätze. Wie dem auch sei, Ugo zeigte uns die einzige erhaltene Burg der Gegend. Groß, trutzig, klobig, grau, aber drumrum alles grün und friedlich. In der Festung gibt es zwei Highlights: die Folterkammer mit Mobilar und die Zelle von Alessandro Cagliostro.

Festung San Leo

Kerker des Freimaurers Cagliostro

Der Graf Cagliostro war eine bekannte Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts. Herr Goethe fühlte sich von dessen Leben inspiriert zum Stück „Der Groß-Koptha“ und Dumas schrieb gleich ein ganzes Buch über den Hochstapler. Deswegen wurde der übrigens falsche Graf aber nicht hier eingekerkert. Vielmehr warf ihm die Inquisition vor, ein Illuminat zu sein. Und das gab er auch zu, obwohl er nur ein gewöhnlicher Freimaurer war bzw. eine Art Großmeister.

Ugo hatte echt Mühe uns das zu erklären, ich hab daher nachrecherchiert: Cagliostro hat wohl wirklich einen Ritus mit ägyptischer Mystik-Ausrichtung begründet. Mehr dazu konnte man nicht herausfinden. Außerdem hat er sich wohl als Alchemist versucht, Marie Antoinette verführt und dabei nicht die eifersüchtige Ehefrau bedacht, die ihn schließlich an den Klerus verriet. 5 Jahre schmorte er auf San Leo bei Brot und Wasser, eingemauert. Heute ist eine Tür in der Zelle und auf seinem Holzbett liegen Blumen – Wahlfahrtsstätte der Freimaurer!

Folterstuhl in San Leo

In der Folterkammer saß er wohl auch mal. Die zeigt uns Ugo besonders gern. Streckbank, Dornensessel und Halskrause mit Pickser im Nacken – alles sehr beeindruckend. Ich hab die Eiserne Jungfrau vermisst :D Ugo haben wir dann doch mal von der italienisch sprechenden Truppenleiterin ablösen lassen. Obwohl solche Instrumente schon irgendwie für sich sprechen.

Rostdruck in Santarchangelo

Von der Festung ging es dann wieder die Schlängellinien nach unten ins grüne Tal und zum Hotelort Santarchangelo – Erzengelsdorf. Dort wacht der Erzengel Michael über die Stadt und ihre Menschen. Einer davon muss besonders beschützt sein, denn trotz Industrialisierung und Automatisierung hält sich der alte Rostdrucker Alfonso Marchi mit seinem Geschäft eisern über Wasser. Im Gegenteil, es läuft bestens, Italiener haben eben Sinn für Tradition und kaufen alles, was handgemacht ist. Nur der echte Parmesan, der echte Parma und echte Balsamico. Und eben auch nur echter Rostdruck.

 Rostdrucker Marchi

Das ist so eine Kunstart, die es wohl nur in der Emilia-Romagna gibt. Noch 4 Werkstätten sind da, die Marchis ist die älteste. Traditionshandwerk seit dem 16. Jahrhundert. So spannend klang es gar nicht, aber als ich in die Kellerwerksatt stolperte stand da ein alter Mann und hüpfte sogleich in ein 5 Meter-Druchmesser-Holzrad und lief wie ein Hamster los. Über ein Seil ist da ein Mangelstein angeschlossen, 2,5 Tonnen schwer, der sich daraufhin hob. So bügelte man im 16. Jahrhundert. Und so macht das Segnore Marchi heute noch. Und das ist alles nur Vorbereitung. Denn eigentlich schnitzt er aus Birnenholz Stempel mit Weinranken und Wildschweinen drauf – und allem, was man so auf Decken, Kissen, Bettwäsche und Schürzen drucken kann.

Dann kommt die berühmte Rostpampe, deren Zusammensetzung er uns nur soweit erklärte: Rost, Essig, Mehl. Der Rest ist Geheimrezept. Der ganze Spaß wird auf ein Stempelkissen gekippt, Stempel aufgetupft und dann aufs Leinentuch gelegt. Mit einem Schlegel wird leicht angehauen und dann wiederholt man das Prozedere bis die Bordüre fertig ist. Herr Marchi nimmt das alles sehr ernst. Hat kaum gelächelt, kann aber auch an den 1000 Fragen und „bitte hierher gucken“-Rufen gelegen haben. Ich fand’s spaßig, weil wir auch drucken durften. Zum trocken föhnen kam dann auch die Katze des Hauses: rostbraune Flecken im Fell! Und ließ den Fön nicht aus den Augen. Ein wirklich interessantes Handwerk, was sie da betreiben. Macht was her, auch wenn es maschinell sicher einfacher ging. Aber Marchi meint, die Leute legen eben Wert auf Qualität, und Handwerk wäre immer etwas individueller, er sieht da keine Gefahr. Die unbekannten Dinge hinter Rimini halt.

Melde mich wieder, wenn ich die Stadt selbst dann auch gesehen habe!
Claudi

Diese Recherchereise wurde unterstützt von Tourismo Emilia-Romagna. Herzlichen Dank dafür!

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