Wie ich das Lichterfest von Lyon überlebte
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Voyage, Voyage

Wie ich das Lichterfest von Lyon überlebte

Im „Gepetto“ ist es etwas zugig. Der Heizlüfter bläst klappernd und träge gegen die Wand. Die Twens am gegenüberliegenden Tisch singen ganz selbstverständlich mit, wenn Desireless das Reisen lobpreist. „Voyage, Voyage“– einer von drei französischen Pop-Songs, die ich aus den 80ern gerade noch erkenne. Zur völligen Ausschöpfung meiner französischen Musikkenntnisse erschallt wenig später „Comment te dire adiue?“.

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Essen wie Gott in Frankreich

Lyons Radiostation hält sich 2013 an die Klassiker, genau wie die Restaurants gegenüber, in denen die klassische französische Küche in Form von Froschschenkeln und Weinbergschnecken, Lyonnaiser Wurstwaren und Kalbshirn angepriesen wird. In Vorbereitung auf den weiteren Abend ordern wir Coq au vin – nach Empfehlung einer Kollegin. Der Hahn war sehr nüchtern, schwamm aber ganz angeheitert in einem prozentreichen Sößchen, ganz vorzügliche Kombination. Vom Hahn berauscht, taumeln wir zu zweit in die frühe Nacht – das Fest ist bereits im Gange!

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Lang gehegter Traum: Fête des Lumières in Lyon

Es ist das Fest der Lichter, mit dem die braven Bürger der Stadt an Rhône und Saône der Heiligen Maria danken, dass sie dereinst die Pest von ihnen nahm. Seit dem 17. Jahrhundert stellen die Lyonnaiser am 8. Dezember daher Kerzen in ihre Fenster. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wandelt sich das ursprüngliche kleine Winterfest zum großflächigen Spektakel der Lichtprojektionen und -kunstwerke. Seit ich erstmals Bilder davon sah, steht die Fête des Lumières auf meiner Löffelabgabeliste. Doris‘ Post ließ mich schließlich den Flug buchen! Zur Fête werden Lyons Sehenswürdigkeiten, wichtige Gebäude und andere Objekte illuster illuminiert. Und was vor ein paar Jahren noch einfach bunt angestrahlt für Staunen sorgte, kann heute nicht mehr mithalten. Es muss flackern, es muss tönen, es muss eine Story haben!

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Mittelalterlicher Ursprung

Unsere Story beginnt beim „Entzünden des Feuers“ am Place Bellecour. Auf dem Europa-Riesenrad tappt ein lebensechter Kasper über die aufgespannte Leinwand. Er pustet Feuerfontänen über den Platz, springt von seiner Riesenradleinwand zu den umgebenden überdimensionalen Leinwandkugeln. Alle 15 Minuten geht ein Feuerwerk über dem Platz hoch. Die Videodarbietung fesselt die Umstehenden bis zum Abspann. Dann zieht die Meute weiter, die Straße hinauf in Richtung Flussufer, über dem bereits die trutzige Basilika in Türkis, Lila, Rot und Gelb aufleuchtet.

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Millionen Besucher im Einbahnstraßensystem

Lyon hat seine Tradition mit der Fête. Seit Jahren sind es Besucher in Millionenzahl. Dem Chaos ist in den engen Altstadtgassen nur mit Polizeipräsenz und Ordnern Herre zu werden. Autos dürfen ab 16 Uhr nicht mehr verkehren, Fußgänger werden im Strom gelenkt! Ja, in Lyon es gibt Einbahnstraßen auch für Fußgänger. Man kann nur im Strom mitlaufen, schieben und drängen. Bis zum nächsten Highlight, an dem bereits die vorherige Zuschauermasse „abläuft“.

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Licht- und Video-Projektionen im wiederkehrenden Takt

Clever: Die Lichtkunst verläuft in einem immer wiederkehrenden, erkennbaren und vor allem zeitlich begrenzten Muster. Nach einer jeden Sequenz schiebt man sich weiter. Wer wie wir fotografieren will, muss sich an Geländern oder Mauern festhalten und stehen bleiben bis zur nächsten Videosequenz. Manchmal erreicht man erst beim dritten Durchlauf der Vorstellung den bestmöglichen Aussichtspunkt.

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Der kleine Prinz auf der Museumswand

Aber es lohnt sich! Was mich in Berlin noch am Adlon so störte (hauptsächlich weil reine Werbung und keine Story dahinter) gefällt mir in Lyon sehr. Am Place des Terreaux wird die Geschichte vom kleinen Prinzen aufwendig in Szene gesetzt. Ein 9-minütiges Video tanzt über die Fassaden von Rathaus und Musée des Beaux-Arts. Wir haben viermal zugesehen, wie der kleine Prinz auf eine Schatzsuche durch Dschungel, Vulkane und Galaxien geht.

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Mehr Fotos zur Fete

Jeder Farbtupfer ein Klangtupfer

Ganz besonders wird mir die Musik der „Grande Opera“ im Gedächtnis bleiben. Farbtupfer unterstreichen Klangtupfer. Eine Symphonie wogt über das Saône-Ufer vom Justizpalast bis zur darüber thronenden Fourvière Basilika auf dem Stadthügel. Es klingt wie die Filmmusik zu einem Filmepos aus den 50er oder 60er Jahren. Aber sowas vermute ich ja öfter, wenn ich gute Musik höre. Was soll ich sagen, das Programmheft gibt mir Recht: Es ist die Einleitung zu „Lawrence von Arabien“. Großartig! Während wir uns einen Chocolat chaud gönnen und ich immer wieder vor der Schlange am Crêpes-Stand zurückschrecke, trumpft das Licht so einige Male auf.

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Fetenstimmung im Gassenwirrwarr

Keine Zeit, ewig am Wasser zu stehen (vor allem, weil es dort doch kühler wird). Wir werden von der Menschenmasse mitgerissen, die sich um eine Band aus meterhohen, leuchtenden Fantasiefiguren träubt. Es sind die diesjährigen Stargäste aus Mexiko. Die Alebrijes spielen Beschwingtes und tanzen karnevalistisch durch die Altstadtgassen. Ein Frosch im Bett schüttelt die Federkissen auf – das Publikum rennt den Musikanten durch die immer enger verlaufenden Straßen nach. Fotografieren mit Stativ – unmöglich. Wir werden gegen die Fensterscheiben gedrückt. Es geht so den ganzen Abend: Von Lichtinstallation zu Videoprojektion. Mit Musik und viel menschlichem Getöse. Dazwischen bietet jeder, der eine Kochplatte besitzt, Vin chaud – Glühwein für die Fêtengäste.

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Kathedrale im Lichterschein

Am folgenden Abend wagen wir den Weg zur Kathedrale, oft und viel fotografiert. Durch eine enge Gasse wird man zum Platz vor der Kathedrale geschoben – zu nah, um ihre Ausmaße zu erfassen. Innerhalb von zwei Sequenzen aus Musik und im Vergleich zu anderen eher langweiligen Farbspielen arbeiten wir uns zur hinteren Begrenzung des Platzes vor. Über die Mauer, den Zaun und aufs Blumenbeet – es geht nicht anders. Wer nicht mindestens 1,80 Meter groß ist, sieht nur die Hälfte.

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Das Ergebnis kann mit den Illuminationen des letzten Jahres nicht so mithalten. Auch die eigene Energie schwindet mit jedem Schritt durch die Menschenmassen, aber man ist ja noch lange nicht zurück im Hotel. Vor der Metro wird angestanden, in schubsenden Menschenhaufen. Im U-Bahnbereich dann: Umleitungen und Sperrungen. Es ist ein Krampf, den man sich nur wohl überlegt antut (sprich auf dem Weg ins Hotel). 70 Installationen hatte die Stadt dieses Jahr zu bieten, alle zu sehen, ist meiner Meinung nach unmöglich. Aber dann ist es eben kein Adieu, sondern eine neue Voyage in Aussicht ;)

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Hard Facts & Survival Tipps

  • * Datum: 4 Tage um den 8.12., ab 18 Uhr wird geleuchtet
  • * einen Tag früher anreisen, es leuchtet noch nicht alles, aber die Spots sind bereits erkennbar
  • * Hotel und auch Restaurants vorbuchen
  • * Leihfahrräder gibt es viele, helfen im Gedränge der engen Gassen gar nichts
  • * Ab 16 Uhr fährt man mit einem einfachen Ticket (2,70 Euro) für den Rest des Tages Metro und Bus
  • * Möglichst Illuminationsrundgänge in zusammenhängenden Gebiet suchen
  • * Die Metro so weit es geht meiden
  • * Go with the flow, es gibt Fête-Pläne mit vorgezeichneten, themenspezifischen Straßenverlauf
  • * Warm Anziehen: Dezember in Frankreich ist nicht anders als Dezember in Deutschland
  • * Dickes Fell zulegen: es wird geschubst und gerempelt!
  • * fetedeslumieres.lyon.fr

Ich habe es überlebt, wenn auch mit Plattfüßen. :)

Grüße von Claudi, die jetzt ganz viele Fotos sortieren muss…

p.s. mich begleitete, freundlich zur Verfügung gestellt, ein kleiner Reiseführer über Lyon von Reise Know-How. Auch dort gibt es einige Tipps zum Fest!
p.p.s. andere Foto-Stories aus aller Welt, rund um den Dezember könnt ihr hier lesen!

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