Als ich bei den Samen in Norwegisch Lappland Elchbraten speiste
Ich reise gern dahin, wo nicht gerade Millionen Besucher jährlich durchströmen. Lappland zum Beispiel, ist was für Geheimtipp-Händler – voller Schnee, Rentiere und Schlittenhunde. Über allem flattert das grüne Nordlicht. Fertig ist das Einsame-Weiten-Klischee. Was fehlt? Richtig: die Menschen! Irgendwer muss sich nämlich um die Hunde und Rentiere kümmern. Und ich meine nicht die vielen deutschen Auswanderer, obwohl die auch einiges zu berichten hätten.
Die Samen – europäische Ureinwohner
Nein, ich wollte eines der wenigen Urvölker Europas treffen (nagut, nicht das ganze Volk ;)). Oder sagen wir es mal so: eines der am längsten eingewanderten und angesiedelten Völker auf unserem Kontinent. Natürlich sind die Samen auch nicht in der Tundra plötzlich aus dem gefrorenen Boden geschossen. Aber sie sind seit Jahrtausenden da, wo andere Völker später einwanderten, wegwanderten, neue zuwanderten und Staaten gründeten.
Ich wollte die Sámi treffen, weil mich ihre Lebensweise interessiert. Wie sehr sind sie anders als beispielsweise ihre norwegischen Landmänner? Meine Fragen werden mir die Eheleute Teigmo aus Karasjok, der Hauptstadt Norwegisch Lapplands, beantworten. Sie haben mich in ihr Ferienhaus eingeladen, von dem aus ich Nordlichter und vielleicht auch Rentiere oder Elche beobachten kann.
Vier Stunden und drei Buswechsel sind nötig, um von Hammerfest nach Kárášjohka an der norwegisch-finnischen Grenze zu gelangen. In Sápmi, dem Gebiet der samischen Urbevölkerung Skandinaviens, bewege ich mich schon seit zwei Tagen. Aber erst jetzt, da das Schneegestöber auf die Frontscheibe des Busses prasselt und die Bäume am Straßenrand eine 30 Zentimeter dicke Schneehaube auf ihren Ästen tragen, fühlt es sich an wie Lappland!
Willkommen auf Samisch
Als ich aus dem Bus klettere, begrüßt mich ein Mann in blauer, vierzackiger Narrenkappe mit „Buresboahtin, buore beaivvi“ und stellt sich als Amund Peder vor. Er trägt außerdem eine blaue Jacke mit roten Säumen und putzige Fellstiefel. Noch bevor mein Hirn den Begriff „Eingeborener“ ausgedacht hat, öffnet Amund Peder den Kofferraum seines deutschen Allrad-Wagens und ich bin zurück in der globalisierten Welt. Auf dem Weg zu seinem Haus begegnen uns Skifahrer und Schneemobile, ich nehme sie kaum wahr. Ich bin hin und weg von den schneebedeckten Tannenbäumen, die im Licht der Scheinwerfer märchenhaft glitzern. So ein Winter Wonderland habe ich noch nie gesehen. Ich bin kein Winterurlaubfan, der Schnee im Harzvorland lag meiner Erinnerung nach nie so hoch, nie so dick gepackt auf den Tannenzweigen.
Neue Wörter!
„Borga“ sagt Amund Peder, das sei das samische Wort für Schneesturm, die Schneekruste auf den Tannenzweigen nenne man hier ritni und außerdem gäbe es noch 288 andere Wörtern für Schnee. Ich bin entsetzt, bisher waren für mich die Inuit die Rekordhalter für ganz viele Schnee-Wörter. Aber 300?! Die Samen haben offensichtlich viel und oft mit gefrorenem Wasser zu tun. Neben dem semantischen Gespür für Schnee haben sie auch ein paar Jahreszeiten mehr als wir. Jeden zweiten Monat ändert sich das Wetter, die Vegetation, die Jagdmöglichkeiten. Vor allem aber haben sie Schnee – von September bis Mai.
Elchbraten mit Beerensaft
Mein Chauffeur und Gastgeber deutet auf den Straßenrand, „da fließt unsere Lebensader, der Fluss. Wir haben alle unsere Gehöfte am Fluss entlang.“ Ich fürchte schon, ganz viel Fisch essen zu müssen, aber für den heutigen Abend verspricht Amund einen selbst erlegten Elchbraten zu kredenzen. Yeah! Zusammen mit seiner Frau Kari bringt er das Abendessen in Töpfen und Schüsseln vom Wohnhaus zum Ferienhaus herüber – durch Schnee und -15° C. Wir speisen in meinem Wohnzimmer im Erdgeschoss. Im Obergeschoss habe ich mir das größere und kuschelwarme Zimmer ausgesucht, denn ich habe die Karasjok Fjellstue ganz für mich. Auch wenn mich eine Übernachtung in einem lavvu, der traditionellen Hütte aus Birkenstämmen und Fellen reizen würde, im arktischen Winter möchte ich doch lieber in ein Häuschen ganz aus Holz übernachten.
Fashion-Show in der Küche
Noch bevor wir am Tisch sitzen, muss ich zur Kostümanprobe. Obwohl ich ja auf meine Heizsohlen schwöre, will Kari mich von goikkehit, den traditionellen Rentierfellstiefeln überzeugen, die mit ihren hochgebogenen Schuhspitzen zu meiner ohnehin überfarbigen signalgrünen Skihose ein bisschen clownesk wirken. Um das Ganze zu perfektionieren, muss ich auch noch eine luhkka überziehen, eine Art Poncho mit Kapuze. Und? Die Schuhe sind in der Tat warm, aber wir sind ja auch im Haus. Ich werde das morgen mal draußen im Schnee testen! Amunds Narrenkappe darf ich übrigens nicht ausprobieren, die ist den Männern vorbehalten und nennt sich eigentlich „Vierwinde-Hut“ bzw. čiehgahpir.
Jäger und Sammler
Bei Elchbraten, Preiselbeeren und frischem čáhppesmuorji (Krähenbeeren)-Saft erklären mir die Eheleute die samische Kultur in einem Crash-Kurs. Dazu fühlen sie sich verpflichtet im Sinne der Verddevuohta (Gastgeberfreundschaft), die sie jedem Gast hier freimütig anbieten. Und ich nehme gern ;)
Die Sami seien im wahrsten Sinne des Wortes Jäger und Sammler, erzählt mir Amund. Er ist stolz wie Bolle auf das selbst erlegte Wild und den Fisch, mit denen sie sich das ganze Jahr selbst versorgen können. „Im Sommer könnte man auch Kartoffeln anbauen.“ sagt Kari. Allerdings hätten die wenig Zeit, um besonders groß zu wachsen, denn der Herbst kommt schnell und der Boden gefriert wieder. Ganz ohne Einkauf im Supermarkt geht es also nicht. Der fette Schmand, in dem der Nachtisch schwimmt, Luopmanat , wird zum Beispiel auch gekauft. Die Beeren hat Kari aber selber gesammelt. Moltebeeren sehen aus wie orangene Himbeeren, wachsen aber sehr nah am Boden und sind rar. „Wir verraten niemanden, wo unsere Luopmanat wachsen. Alle Sami kennen einen Platz, wo sie die Beeren finden, aber keiner verrät sie dem anderen.“ erzählt mir Kari und grinst dabei schelmisch. Die Beeren sind süß-säuerlich und echte Vitamin-Bomben!
Respektiere die Natur
Nachdem die Teller abgeräumt sind, lehne ich mich auf der Couch neben dem bollernden Ofen zurück und lausche weiter meinen Gastgeberfreunden. „Es gibt keine Wege durch den Wald.“ sagt Amund und ich staune durchaus. Manchmal verlaufen sich Leute, ja. Die Sami tragen Fellschuhe, die keine Abdrücke hinterlassen. „Es soll aussehen, als wären wir gar nicht da gewesen.“ erklärt er. So zeigen die Sami ihren Respekt gegenüber der Natur, sie nehmen nur, was sie zum Überleben brauchen und hinterlassen alles, wie sie es vorgefunden haben – auch für die, die nach ihnen kommen. „Wenn wir ein Lagerfeuer machen, müssen wir Steine darunter legen. Die Erde darf nicht mit Feuer in Berührung kommen. Das entweiht sie.“ Pantheismus.
Sami – Ein Volk, eine Nation?
Die tiefe Verehrung der Natur und das Leben mit ihr ist allgegenwärtig. Überliefert wird das Wissen über die Natur und wie man in ihr überlebt, fast nur im gesprochenen Wort. Es gibt kaum Bücher in Sami. Es war verboten wie viele Sprachen von Minderheiten in Europa. Amund hat gleichzeitig Deutsch und Sami gelernt – bei einem deutschen Professor. Erst seit den 80er Jahren ist Sami wieder eine Sprache, die gelehrt wird. Samisch und Sápmi sind anerkannt – in allen Ländern Nordeuropas, in denen Samen leben und ihre gemeinsame Flagge hissen.
Von Russland über Finnland, Schweden bis zur Küste Norwegens haben die Menschen Lapplands eher wenig Ambitionen, mehr als ein Volk zu sein. Sie müssen keinen gemeinsamen Staat haben. Sie können auch so ihre Kultur leben und ihre Sprache sprechen. Und ansonsten sorge Norwegen sehr gut für sie, findet Kari. Es gibt trotzdem in Karasjok das Sámediggi, das samische Parlament und aus dem Tag der Sami-Völker am 6. Februar wurde kürzlich der Tag der Sami-Nation Sámi álbmotbeaivi …
Das Nordlicht wird verschoben
Meine Augen werden schwerer, der Abend länger, aber nicht weniger spannend. Für morgen hat Amund angekündigt, mir zu zeigen, wie die Samen leben, wovon sie eigentlich leben und wie toll Lappland im Dämmerlicht aussieht. Und Rentiere! Ich schiele zum Fenster hinaus, aber für Nordlichter bin ich heute zu müde. „Die sind fast immer da.“ beruhigt mich Gastmutti Kari. Ich frage nach der Vokabel für Gute Nacht. „Boure idja” sagt Kari. Ich wiederhole die Worte einige Male und entschwinde in mein Schlafgemach. So viele Wörter, so viel Natur in meinem Kopf.
Boure idja und bis morgen!
Claudi
Ich reiste auf Einladung von Visit Norway, vielen Dank dafür! Vielen Dank auch an Kari und Amund Peder Teigmo für die spannenden Gespräche und so viel Neues, das ich in diesen zwei Tagen lernen durfte!
Stichworte: karasjok, kultur, lappland, samen, sami, sapmi, ureinwohner