Sevilla – Der Duft einer Stadt
Als sich die Tür des Flughafenbusses an der Station Puerta de Jerez öffnet, empfängt uns Sevilla mit dem süßlichen Frühlingsduft der Orangenbäume. Sie säumen die Straßen und übertünchen selbst den zweispurigen Straßenverkehr. Es wird automatisch wärmer in dieser Duftwolke, obwohl el sol sich bereits verabschiedet. Wir fließen mit dem Duftstrom in den Stadtteil Triana und zur Calle Pelay Correa, wo unsere Apartment-Besitzer nach einiger Zeit per Roller vorfahren – etwas anderes ist in den schmalen Gassen auch nicht praktikabel.
Staub, Abgas und Orangenblüte: Triana
In der kleinen Ferienwohnung ist es kühl, die Fenster schauen zum schmucken Innenhof, dem Patio in sonnigem Orange mit den typischen andalusischen Mosaik-Fliesen. Besitzerin Macarena erklärt uns schnell noch die Wohnungseinrichtung (Bad, Küche, Schlafzimmer) weist auf die Semana Santa hin und, dass es online ein ganzes Programm gibt, wann welcher Passionszug wo lang zieht. Sie gibt sich das schon lange nicht mehr „zu viel laufen und zu warm“, sagt sie. Ihr Mann Ignatio gibt uns den Tipp, an der Calle Betis nach Essen zu suchen. Die leckersten Tapasbars von Triana seien dort. Das ist der Vorteil an FeWos, die Besitzer bringen zur Schlüsselübergabe auch immer noch Infos mit.
Mayonnaise und Tomatensäure: Tapasabend am Fluss
Gut informiert erkunden wir also 200 Meter von der Wohnung entfernt die Calle Betis am Canal de Alfonso XIII entlang. Sevilla ist zu Leben erwacht. Vor den Bars steht oder hockt man an Hochtischen und aus der einen oder anderen Tapasbar dringt ein dezentes Schinken-Odeur nach draußen. Wir wählen das La Primera de la Puenta, das auf einer Terrasse auf der Flussseite bedient. Vom Torre del Oro gegenüber strömt ein warmes Licht in den lauen Frühlingsabend.
Und dann lernen wir: Eine Ration Tapas ist kein Tapa! Eine Ration (man erkennt es am höheren Preis) ist ein ganzer Teller von dem leckeren Zeug. Albondigas sind schon aus – Fleischbällchen sollten doch immer da sein! Wir nehmen also Vorlieb mit einer Fuhre Patatas bravas, von denen ein säuerlicher Geruch aus Mayonnaise und scharfem Ketchup ausströmt. Die San Jabobos (Cordon Bleus – 3! sind eine Ration) haben ihren Geruch längst im Ölbad abgegeben. Aber es schmeckt ja doch!
Weihrauch: Vorboten der Semana Santa de Sevilla
Als wir eine Runde ums Quartier drehen, ist es schließlich der schwere Geruch von Weihrauch, der eine mitternächtliche Prozession durch unsere Straße ankündigt. Menschen umringen den Paso, den großen Tisch, auf dem eine Jesusfigur am Kreuz durch die Straßen getragen wird. Gerade stoppte man an der Kathedrale von Triana, der Santa Ana Kirche. Hinter dem Zug der Priester und der in schwarze Roben und Kapuzen gehüllten Büßer zieht die Fahne des Weihrauchs durch die dunkle Gasse. Die Einheimischen lassen sich kaum stören, wenn der Zug vorbeizieht oder neben ihren Tischen und Stühlen stoppt. Man nippt am Cerveza oder Vino und lauscht andächtig der Musik sowie der Passionszug weitergeht. Die Vorboten der Semana Santa, die am Sonntag beginnt.
Churros: Schokolade zum Frühstück
Wir starten den folgenden Tag mit einer Brise frittiertem Fett, die ich am Churrosstand an der Puente de S. Telmo aufschnappe. Je näher wir kommen, desto weiter kämpfen sich die süßen Schwaden in mein Geruchszentrum vor. Mit Vanillecreme gefüllte Schokochurros – ah, solch Verführung schon am frühen Mittag! Die Faulheit siegt über den sabbernden Süßzahn, Frühstück muss im Sitzen eingenommen werden und das gibt es am Plaza San Fernando.
In den Orangenbäumen über unsren Köpfen zanken die Spatzen um die besten Blüten, vielleicht macht sie der starke Duft auch aggressiv? Morgen werden wir hier Churros in verführerisch duftende Trinkschokolade stippen. Heute hängen wir die Nasen über erweckenden Kaffee und betrachten das Treiben auf der Plaza. Autos, Fahrräder, Pferdekutschen, Straßenbahn, Segways, Skater und Fußgänger schaffen es gekonnt, sich nicht gegenseitig über den Haufen zu fahren – hier kann man Chaostheorie studieren!
Pferdeschweiß: Plaza del Triunfo
Wir müssen früher oder später in das Gewühl hinein und strömen bei frühlingshaften 27°C mit den Massen in Richtung Kathedrale. Sevillas Aushängeschild thront imposant mit seinen gotischen Verzierungen und dem maurischen Glockenturm in der Mitte der Altstadt auf der Plaza del Triunfo. Die Dutzenden Pferdekutschen rund um die Plaza riecht man erst, wenn sie direkt neben einem parken. An der Südseite des Platzes haben die spanischen Könige vor Jahrhunderten den Real Alcazar gebaut und wunderschöne Gartenanlagen drumherum installiert. Das ist das richtige für die Mittagszeit, denk ich mir.
Wisterien: Alcazar, Alhambra – Hauptsache Andalusien!
Die kleine Schwester der Alhambra kann sich durchaus sehen lassen und das „klein“ ist relativ. Wenn man nämlich erst einmal die kühlen Gemächer und Arkadengänge mit den schönen Fliesen und Bögen des Palastes durchquert hat, steht man im Garten. Im großen, sonnigen Garten. Wir machen uns einen Sport daraus, schattige Plätze im Labyrinth der Hecken, Lilien und Obstbäumen zu suchen. Und da ist er wieder, der Duft Sevillas: So schön der Blauregen über uns rankt und blüht, der Kopf schmerzt nach zwei Minuten dieser Sinneskost! Wasser und Kaffee in der Cafeteria lenken etwas ab und auf einer kleinen Wiese daneben schreien und gurren die allgegenwärtigen Tauben und Pfauen um die Wette – abwechslungsreich für die Sinne.
Nach fast drei Stunden haben wir den Irrgarten nicht erreicht, sondern den Ausgang und damit wieder den Plaza. Das Thermometer zeigt 29°C. Die Kathedrale von Innen könnte Abkühlung verschaffen. Das denken allerdings auch so viele andere Leute… Eines Tages erklimme ich den Giralda, aber nicht heute. Stattdessen gucken wir zu, wie die Alexandersittiche in den Palmen am Platz die Blüten abzupfen.
Cortado: Mit Pilzgeschmack
Und dann stinkt mir die Rumsitzerei und die Sonne blendet zu sehr! Richtung Plaza de El Salvador sind schon mal die Klappstühle aufgestapelt worden, rote Teppiche und Absperrungen zeigen an: Morgen beginnt Sevillas größtes Fest, die Karwoche aka Semana Santa. Entlang der Straßen rund um die Kathedrale wurden die Balkone in rote Tücher gehüllt und an Straßenständen werden Räucherkerzen verkauft – der Duft von Heiligkeit erweckt bei uns eher Hustenreiz und so ziehen wir in Schlangenlinien durch die Stadt gen Norden.
Ich will zum Pilz, den wir nach 20 Minuten Spaziergang erreichen. Die riesige Holzkonstruktion des Metropol Parasol überspannt die Plaza de la Encarnación in der Altstadt und sticht mit der modernen Ausformung natürlich zwischen all den ehrwürdigen Kirchen heraus. Wir leisten uns für 3 Euro die Auffahrt zum 2. Stockwerk der Konstruktion, dort läuft man quasi auf den Lamellen des Stadtpilzes und hat den besten Blick über die Stadt. Zum Panoramablick kann man sich einen Cortado ordern und dem Sonnenuntergang beiwohnen.
Iberische Salami: Einmal Tapas, immer Tapas
Zum Abendessen spazieren wir zurück in unseren Bezirk auf der anderen Kanalseite. Heute Abend inspizieren wir die Calle Betis von Norden her und entscheiden uns für das T de Triana, wo wir uns die auffrischende Luft des Canal um die Nase wehen lassen, während el sol sich romantisch in den Fluss stürzt. Der herbe Geruch vom iberischen Schwein im Salchichon läutet einen weiteren Tapasabend ein. Lecker! Dafür sind die Albondigas gekocht und schwimmen nicht in Tomatensoße und schon wieder dieses säuerliche Gemisch aus Mayo und scharfer Tomatensauce, bei dem die Kartoffeln wirklich bravas, tapfer sein müssen. Aber im Kurzurlaub beschwert man sich nicht, man genießt den lauen Abend und freut sich, dass im Nachbarlokal live gesungen und klavieriert wird. Irgendwo wird gebratener Fisch kredenzt, das rieche ich genau, dann ertränken wir die Geruchsnerven im Roséwein.
Popcorn: Frühlingstage wie auf Naboo
Als wir am nächsten Tag, Palmsonntag, die kleine Ferienwohnung verlassen und die Churros planungsgemäß verdrückt haben, nehmen wir es noch einmal mit den Orangenbäumen und der gleißenden Sonne Sevillas auf. Zur Plaza de Espana, bitte! Zuvor durchläuft man den Park Maria Luisa, in dem sich die Sonntagskirchgänger bereits versammelt haben. Popcornduft weht durch die Sommerluft, Jahrmarktsstimmung. Die Plaza ist leer genug, um ein bisschen Padme und Anekin auf Naboo zu spielen, warum haben wir unseren R2D2 nicht mitgenommen? Achja, weil ich nicht mit Mülleimern reise! :D Jedenfalls wurden hier ein paar Szenen für Star Wars Episode 2 gedreht.
Der Platz ist aber auch so ganz hübsch. Ein kleiner Fluss umrundet ihn, darüber führen Brücken, und ja doch, da fahren Bötchen auf diesem Rinnsal! Mich begeistern die Fliesenbilder der Provinzen und die Balustraden, sowohl auf der Galerie als auch an den Brücken – bunt bemalte Keramik, absoluter Hingucker. Ich brauche jetzt jemanden, der mir Zuhause die Balkonwände einreist und dort Balustraden anbringt! :D
Weihrauch, Schweiß und Parfüm: Semana Santa beginnt
Als wir gerade den immerhin recht unauffälligen Geruch des grünlichen Wassers hinter uns haben, und bei 32°C so mancher schon etwas Schweiß bildet, stehen wir schon wieder in Schwaden aus Weihrauch und den Parfüms der dicht gedrängten Zuschauer. Der erste Passionszug der Semana Santa ist unterwegs. Diese Prozession ist mein persönlicher Höhepunkt für eine Frühlingsreise nach Andalusien.
Und wie es der Zufall will, die nächste Bushaltestelle für den Flughafenbus ist an der Puerta de Jerez. Wir verlassen mit einer Prise Orangeblütenduft in der Nase das bunt geflieste und wohlig riechende Sevilla. Vorerst.
Adios, Claudi
p.s. Macarena, die Schlüssel liegen auf dem Wohnzimmertisch!
p.p.s. einen weiteren Bericht über Sevilla könnt ihr auch bei neckermann-reisen.de lesen!
Hinweis: Die Ferienwohnung in Sevilla wurde mir von Only-Apartments gestellt. Vielen Dank dafür!